Aus mehr oder weniger aktuellem Anlass möchte ich heute mit euch über das Gewissen sprechen. Aktuell deswegen weil einige Politiker mal wieder die Titelseiten aller Presseorgane füllen mit so manchen Aussagen, die mich echt nachdenklich, teils sprachlos und auch teils echt wütend machen, aber keine Bange. Das soll jetzt hier aber definitiv kein Steine-Werfer-Podcast werden. Ganz im Gegenteil.
Politik kann laut Viktor Frankl, dem Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse, und nebenbei erwähnt auch führende Grundlage meiner Arbeit als Coach und Purposefahnder, durchaus eine Sinnquelle im Leben sein. Viele Menschen engagieren sich, in überwältigender Mehrzahl ehrenamtlich, zum Wohle der Mitbürgerinnen und Mitbürger und finden darin ihren Purpose. Einige Politiker, wie die aktuelle Maskenaffäre zum Vorschein brachte, scheinen jedoch irgendwie vom Kurs ihres Gewissens und ihrer notwendigen Integrität abgekommen zu sein. Oder wie ein Politiker kürzlich kommentierte:
„Der moralische Kompass ist anscheinend vollkommen kaputt“
Jeder macht mal Fehler. Zuweilen auch ganz schlimme unverzeihliche Fehler und man kann wirklich nur hoffen, das diese Menschen, die mal Politiker waren, diesen irren medialen Tsunami irgendwie überstehen werden. Natürlich ist hier Mitleid total fehl platziert, aber dennoch stelle ich mir die Frage wie man solche krassen ruinösen Entscheidungen, nicht nur als Politiker sondern auch als öffentliche Person generell und auch als Führungskraft, vielleicht verhindern kann. Was geht in einem Berufspolitiker in der Mitte des Lebens vor, so viele rote Ampeln und Stoppschilder zu übersehen oder besser zu überhören? Hat sich denn nie das Gewissen gemeldet?
Denn gerade im Zusammenhang mit Politikerinnen und Politikern spricht man ja immer wieder vom bestem Wissen und Gewissen, in Bezug auf Ihre Ausrichtung und Ihre Entscheidungen. Und das möchte ich jetzt mal zum Thema machen, da der moderne Mensch von heute, einfach viel zu wenig weiß über das Gewissen. Was ist denn eigentlich das Gewissen? Wie entsteht das Gewissen und woher kommt es? Und zu aller Letzt wie macht sich das Gewissen bemerkbar? Also spannende Fragen die ich hier einmal abarbeiten möchte.
Was ist das Gewissen?
Jeder von uns, so auch ich, hat schon einmal falsche Entscheidungen im Leben getroffen, oder? Ich denke ausnahmslos jeder. Interessant wird es wenn man einmal ein wenig über die Entscheidung reflektiert. Denke doch einmal über Deine größten Fehlentscheidungen in Deinem Leben nach. Welche waren das? Und hat sich da Dein Gewissen gemeldet oder nicht? Ganz ehrlich!
Wenn ich auf meine kleineren und größeren Fehlentscheidungen zurück blicke, dann kann ich heute mit Fug und Recht behaupten, das mein Gewissen sich gemeldet hat und das meistens mehr als einmal. Und was habe ich gemacht? Ich habe es ignoriert oder nicht gehört. Ich wollte oder konnte mein Gewissen in diesen Situationen nicht hören. Aus meiner ganz persönlichen Sicht hat Gewissen also auch etwas mit Wollen und Können zu tun. NICHT WOLLEN bedeutet: Sturheit, Überheblichkeit, Arroganz, Selbstüberschätzung etc. NICHT KÖNNEN bedeutet: Unerfahrenheit, mangelnde Lebenserfahrung, Unwissenheit
ODER die Welt war einfach zu „laut“. Die Stimme des Gewissens wurde schlichtweg überhört. Meistens ein Ergebnis von zu wenig Zeit und Achtsamkeit für sich selbst und das Leben. Ein Termin jagt den nächsten. Tage-, Wochen-, Monate-, teils Jahrelang immer das gleiche Schema. Da fällt es schwer, die Stimme des Gewissens zu erfassen. Ich spreche da durchaus aus Erfahrung.
Okay was ist also das Gewissen? Ich liebe Zitate, denn sie bringen es so gut auf den Punkt und von denen möchte ich euch ein paar zum Start vorstellen.
„Das beste Kissen ist ein ruhiges Gewissen.“ (Mein absolutes Lieblingszitat mit echtem persönlichem Life-Changer-Effekt)
»Das Gewissen ist eine Uhr, die immer richtig geht. Nur wir gehen manchmal falsch«, Erich Kästner
„Die Stimme des Gewissens kann sehr unangenehm sein.“ (Elisabeth Lukas)
„Das Gewissen gehört zu den spezifisch menschlichen Phänomenen. Es ließe sich definieren als die intuitive Fähigkeit, den einmaligen und einzigartigen Sinn, der in jeder Situation verborgen ist, aufzuspüren. Mit einem Wort, das Gewissen ist ein Sinn-Organ.“ Viktor E. Frankl
„Gewissenskonflikte gibt es in Wirklichkeit nicht, denn, was einem das Gewissen sagt, ist eindeutig. Der Konfliktcharakter wohnt vielmehr den Werten inne.“ Viktor E: Frankl
Wikipedia definiert das Gewissen folgendermaßen: Das Gewissen wird im Allgemeinen als eine besondere Instanz im menschlichen Bewusstsein angesehen, die bestimmt, wie man urteilen soll. Es drängt, aus ethischen, moralischen und intuitiven Gründen, bestimmte Handlungenauszuführen oder zu unterlassen. Entscheidungen können als unausweichlich empfunden oder mehr oder weniger bewusst – im Wissen um ihre Voraussetzungen und denkbaren Folgen – getroffen werden.
Klexikon, das Lexikon für Kinder, übrigens sehr empfehlenswert, definiert Gewissen folgendermaßen: Beim Gewissen geht es darum, richtig und falsch zu unterscheiden. Dabei geht es vor allem um das eigene Verhalten und darum, ob es richtig ist. Wer ein schlechtes Gewissen hat, weiß, dass er etwas gemacht hat, das er eigentlich für falsch hält. Ganz kleine Kinder haben noch kein Gewissen. Sie müssen noch lernen, was Gut und Böse bedeutet und was am Bösen schlimm ist. Allerdings gibt es Leute, die es nie lernen. Sie kennen den Unterschied von Gut und Böse nicht oder es macht ihnen nichts aus, Schlechtes zu tun.
Kommen wir nun zu der logotherapeutischen Definition von Gewissen. Dieses Wissen zapfe ich aus dem auch sehr empfehlenswerten „Lexikon der LT & EA von Viktor E. Frankl“ in Auszügen ab.
1. Allgemeine Umschreibung
Das Gewissen ist im weitesten Sinne ein Selbstbezug, bei dem der Mensch seine oberste innere Leitinstanz auf sich selbst bezieht. Sein zentrales Moment ist ein Wissen um letztbegründende moralische Normen und Werte, die für einen Menschen gültig und verbindlich sind. Ein aktiviertes Gewissen wendet die Werte und Normen auf das unmittelbare, vergangene, zukünftige Tun und Lassen eines Menschen an und urteilt über dessen Wert. Das Gewissen kann den Menschen anweisen, eine Handlung auszuüben oder auch diese zu kontrollieren. Es fungiert im alltäglichen Sprachgebrauch somit als Kontrollinstanz für moralisch angemessenes Handeln. Es ist die innere Stimme, die die Handlungen des Menschen kommentierend begleitet und entweder ein eher gutes oder eher schlechtes Gefühl auslöst. Seine besondere Bedeutung liegt darin, dass es die Moralität einer Person mit deren Identität verbindet und sie dem Vergleich von SEIN und SOLLEN, ALLGEMEINEM und PERSÖNLICHEM, ÖFFENTLICHEM und PRIVATEM, ANERZOGENEM und SELBSTGEWÄHLTEM aussetzt.
2. Zur Wortherkunft
Das Wort Gewissen wurde um 1000 n. Chr. In der Bibliothek von St. Gallen eingeführt. Es stammt aus dem lat. CON-SCIEN-TIA, was soviel wie Gewissen, Bewusstsein, Mitwissen bedeutet.
3. Entstehung des Gewissensbegriff
In der Antike entstand der Gewissensbegriff dadurch, dass jene personifizierten mythischen Mächte, die das menschliche Tun von außen überwachten, zu Norminstanzen verinnerlicht wurden. Die Etymologie belegt die antike Auffassung, der zufolge jeder Mensch in sich selbst einen Mitwisser seiner Taten habe. (Ein wunderbarer Satz, oder?) Diese ins eigene innere verlegte Kontrollinstanz gilt als sicherster Zeuge, aber auch als höchster Richter, der mit der Autorität eines von der Gottheit eingepflanzten Gesetzes und damit als Gottesstimme spricht. Epiktet setzt das Gewissen dem obersten menschlichen Leitvermögen gleich, mit dem ein jeder die sittlichen Grundprinzipien wahrzunehmen vermag und insofern ein Leben in Genügsamkeit und Unabhängigkeit gegenüber der Umwelt und dem, was sich der eigenen Verfügbarkeit entzieht, führen kann.
4. Ungeklärte Frage
Die Frage, ob das Gewissen angeboren oder anerzogen ist, lässt sich rational nicht eindeutig beantworten. Empirische Untersuchungen zeigen jedoch, daß sich das Gewissen individualgeschichtlich tatsächlich durch die Verinnerlichung einer zunächst als etwas Äußerliches aufgefassten Norminstanz bildet. Kinder deuten in einer Frühphase das Gewissen nicht als eine interne Instanz, sondern als einen unsichtbaren Begleiter oder Mitwisser, der sie bei einer bösen Tat anklagt. Auch wenn später das Gewissen im eigenen Körper lokalisiert wird, identifiziert sich das Kind nicht mit Ihm. Erst in der Adoleszenz fasst der Jugendliche das Gewissen als eine persönliche Regung auf, die sich aber inhaltlich noch im Einklang mit den geltenden Normen der Umgebung steht. Erst der Erwachsene kann den anerzogenen und damit heteronomen Charakter seines Gewissens erkennen. – Anmerk. des Autors: HETERONOM ist also das Gegenteil von Autonom und meint in diesem Kontext den fremdbestimmten Charakter des Gewissens – Er kann seine eigene Urteilsinstanz entwickeln, die sich durchaus von den Normen der Umgebung unterscheidet und sich an frei gewählten Grundsätzen orientiert. Auf diese Weise gewinnt er ein autonomes und voll verinnerlichtes Gewissen, in dem er sich als mit der Moralität im Einklang, also identisch, erfahren kann.
Abschließend ist noch zu erwähnen, das das Gewissen sich auch irren kann, weil niemand weiß wer die Wahrheit besitzt. Trotz dieser Ungewissheit muss der Mensch es wagen, zunächst auf die Stimme des Gewissens zu hören. Ungewissheit = Wagnis. Soweit die Zitierung aus dem Wörterbuch der LT & EA
5. WORTFAMILIE
Gewissenskonflikt, Gewissensbisse, Gewissensfreiheit, Gutes/Schlechtes Gewissen, Gewissenlosigkeit und Gewissenhaftigkeit,
Gewissenhaftigkeit
Bei diesem Wort bin ich dann bei meinen Recherchen etwas stutzig und nachdenklich geworden. Nach allem was wir jetzt über das Gewissen wissen, haftet also jemand an seinem Gewissen. Oder jemand handelt nach seinem Gewissen. Richtig? Ich erinnere mich bei gewissenhaft immer an meine Schule und meine Zeugnisse. Jürgen hat seine Aufgaben immer sehr gewissenhaft erledigt. Gemeint war damit in der Regel hat seine Aufgaben gründlich, ordentlich, genau und zuverlässig erledigt. Mir fällt es äußerst schwer die Persönlichkeitseigenschaft Gewissenhaftigkeit mit diesen Attributen in Verbindung zu bringen, oder? Aber genau so wird Gewissenhaftigkeit in unserem WWW meistens beschrieben. Aber ist das wirklich Gewissenhaftigkeit? Also Wikipedia beschreibt mit Gewissenhaftigkeit den Grad an Selbstkontrolle, Genauigkeit und Zielstrebigkeit.
Auch das sehr bekannte Persönlichkeits-Diagnostiktoll „BIG 5“, welches die Persönlichkeit in 5 unterschiedlichen Skalen misst, scannt auch eben jene Gewissenhaftigkeit und wird folgendermaßen beschrieben: Gewissenhaftigkeit beschäftigt sich mit der Art wie wir unsere Impulse kontrollieren, regulieren und steuern. Es gibt 6 Unterskalen:
- Kompetenz (gesunden Menschenverstand)
- Ordnungsliebe
- Pflichtbewusstsein (Zuverlässig, Verantwortungsbewusst)
- Leistungsstreben
- Selbstdisziplin (Willenskraft, Durchhaltevermögen) und
- Besonnenheit (Impulskontrolle, Entscheidungskompetenz, Abstraktionsfähigkeit (also die Fähigkeit aus etwas eine Schlussfolgerung ziehen zu können).
Mit dieser Umschreibung von Gewissenhaftigkeit komme ich wesentlich besser klar. Es fehlen mir jedoch noch 3 Werte die ich schlicht für unverzichtbar halte: Wertekompetenz, Reflexionsfähigkeit und Achtsamkeit. Wertekompetenz deswegen, weil wie schon gesagt Gewissenskonflikte eigentlich Wertekonflikte sind. Reflexionsfähigkeit deswegen, da Selbstdistanzierung eine angeborene Fähigkeit und entsprechend geschult werden kann. Und Achtsamkeit, um das Gewissen in unserer lauten Welt einfach besser hören zu können, wenn es sich meldet.
Fazit
So, was nehmen wir also schlussendlich mit aus diesem Podcast? Das Gewissen ist immer da. Und was das Gewissen sagt ist eindeutig. Wir können es oder wollen es manchmal einfach nicht hören. Gewissenhaftigkeit ist zum einen die Fähigkeit, seinem Gewissen gemäß zu handeln, es steht aber auch für eine Reihe von Persönlichkeitsmerkmalen. Gewissenhaft zu sein, hilft auf jeden Fall gut zu schlafen. Ein gutes Gewissen ist ein gutes Kopfkissen. Ein gewissenhafter Mensch zu sein bedeutet, ein überlegter, reflektierter, zuverlässiger, integrer und ein konsequent verantwortungsbewusster Mensch zu sein. Das Gegenteil von gewissenhaft ist Rücksichtslosigkeit, Skrupellosigkeit, Borniertheit, Oberflächlichkeit, Sittenlosigkeit in Verbindung mit einem schwach ausgeprägten Abstraktionsvermögen. Gewissenhaftigkeit als Wert ist für manche Menschen bzw. für manche Berufsgruppen ganz besonders wichtig. Und ganz wichtig. Es lässt sich trainieren bzw. weiterentwickeln.
In der Logotherapie und Existenzanalyse wurde zunächst von Viktor Frankl selbst und später von seinen Schülerinnen und Schülern verschiedene Methoden und Trainings entwickelt, die einen weltberühmten Ruf erreichten. Wie z.B. die paradoxe Intention, die die Trotzmacht des Geistes aktivieren soll getreu dem Selbstdistanzierungs-Motto „Man muss sich, sich selbst nicht alles gefallen lassen“. Oder auch das sog. Willensstärkungstraining ist sehr bekannt und spannend, getreu dem Selbstdistanzierungs-Motto „Und darüber wird überhaupt nicht diskutiert“.
Ich glaube es ist vielleicht an der Zeit ein „GEWISSENSTRAINING“ einzuführen. Vor allem für Menschen im öffentlichen Leben aber auch für Unternehmenslenker und Führungskräfte. Und hier getreu dem Selbstdistanzierungs-Motto „Über diese Brücke gehe ich nicht“ als kleine hilfreiche Methapher.
Ich wünsche Euch von ganzen Herzen, das Ihr in Eurem Leben erkennt, über welche Brücke ihr geht und welche ihr eher meidet und nicht überquert.
Bleibe gesund und lebe sinnvoll und gewissenhaft
Eurer Jürgen Umlauf
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